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P.Bauer

Offheim in einer schweren Zeit

Zwangsarbeiterin im Westerwald

(Der Sohn berichtet)

 (von Hermann Heep)

Die Geschichte die ich hier niederschreibe hat mir meine Mutter seit meiner Kindheit immer und immer wieder erzählt und sie hat sich mir tief in mein Gedächtnis eingeprägt.

Die Ereignisse, von denen ich hier berichte, liegen nunmehr genau 60 Jahre zurück und sie handeln vom Ende des 2. Weltkrieges in Offheim im Kreis Limburg.

In den Geschehnissen der damaligen Zeit spiegelt sich  ein Stück Weltgeschichte in unserer Westerwälder Heimatgeschichte wieder. Meine Mutter war zu dieser Zeit polnische Zwangsarbeiterin bei einer Bauernfamilie in Offheim.

Meine Mutter stammte aus der Nähe der Stadt Lwiv in der heutigen Ukraine. In der Zeit, da sie geboren wurde, herrschte in der Ukraine eine große Hungersnot, der nach vorsichtigen Schätzungen im Laufe der Jahre ca. 35 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Damals, als Sie von den deutschen Soldaten im Alter von 21 Jahren im Jahre 1942 nach Deutschland deportiert wurde, hieß die heute ukrainische Stadt Lwiv noch Lemberg und gehörte zum polnischen Staatsgebiet im Bezirk Galizien.

Aufgrund des Hitler- Stalin Paktes 1939 wurde der Distrikt Galizien bei der Besetzung Polens durch die Deutschen zunächst Stalin zugeschlagen und auch von russischen Truppen besetzt.

Später, beim Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion wurde die Heimat meiner Mutter von deutschen Soldaten besetzt. So erlebte Sie in frühester Jugend, innerhalb von nur einem einzigen Jahr, 2 fremde und feindliche Besatzungsarmeen.

Meine Mutter wurde von den Deutschen nach Deutschland in den Westerwald als Zwangsarbeiterin deportiert, während in ihrer Heimat, die sie für immer verlassen musste, die willkürliche Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens begann, der insgesamt Millionen von Menschen , allein in der Stadt Lemberg über 300.000, zum Opfer gefallen sind.

Das Schicksal verschlug meine Mutter, nach diversen Zwischenstationen in verschiedenen Gefangenenlagern, nach Offheim bei Limburg im Westerwald. Hier kam sie zunächst zu einer Bauernfamilie, von der sie sehr schlecht behandelt wurde.

Die Behandlung war so schlecht, dass sogar der damalige Bürgermeister von Offheim gegen diese üble Behandlung einschritt und veranlasste, dass meine Mutter einer anderen Bauernfamilie in Offheim, der Familie Burggraf als Zwangsarbeiterin zur Mitarbeit in der Landwirtschaft zugeteilt wurde.

Zur Ehre dieser Familie Burggraf muss gesagt werden, dass meine Mutter immer gut, freundlich und anständig von ihr behandelt wurde und dass sie in dieser Familie wie eine eigene Tochter ,die zur Familie gehört, aufgenommen wurde!

Alle Mahlzeiten wurden gemeinsam an einem Tisch eingenommen -das war für die Familie Burggraf selbstverständlich und Ehrensache!

Von der Vorschrift der NSDAP, dass die Zwangsarbeiter die Mahlzeiten im Stall einzunehmen hatten setzte sich Clemens Burggraf einfach darüber hinweg !

Ebenfalls muss zur Ehre des damaligen Bürgermeisters gesagt werden, dass er sich gegenüber den Zwangsarbeitern und Gefangenen menschlich und hilfsbereit verhalten hat!

 Von den Kriegsereignissen im fernen Osten erfuhren die Zwangsarbeiter naturgemäß nur sehr wenig, aber eines Tages erhielt meine Mutter gegen Ende des Krieges über das Internationale Rote Kreuz eine Gefangenenpost von Ihrem Vater aus Galizien, in der dieser Ihr schrieb:

„...es wird bald Frühling sein,

die russischen Schwalben fliegen sehr tief,

Sie haben in Galizien schon viele Eier gelegt."

 

Meine Mutter hatte trotz der Zensur, dem die Gefangenenpost durch die Deutschen unterlag, die verschlüsselte und eindeutige Botschaft ihres Vaters aus der Heimat sofort verstanden.

Sie lautete:

„....es wird bald Frühling sein,                       ,,... der Krieg ist bald zu Ende,

die russischen Schwalben fliegen  sehr tief,         die russischen Flugzeuge fliegen sehr tief,    

Sie haben in Galizien schon viele Eier  gelegt.      Sie haben in Galizien schon viele Bomben abgeworfen.

Clemens Burggraf, der Bauer aus Offheim, in dessen Familie meine Mutter in der Landwirtschaft arbeitete, hörte regelmäßig heimlich Radio BBC London und war über die Kriegsereignisse bestens informiert.

Eines Tages sagte er zu meiner Mutter:

„ ... Der Krieg ist bald aus. Deutschland hat ihn verloren. Eure Soldaten werden bald hier sein. -Du wirst bald frei sein und kannst in Deine Heimat zurückkehren."

Das nahe Kriegsende hatte sich auch bei den anderen Zwangsarbeitern- und Kriegsgefangenen aus allen Ländern Europas , die in Offheim in der Landwirtschaft eingesetzt waren, herumgesprochen und eine tiefe innere Unruhe ausgelöst.

Einer dieser russischen Kriegsgefangenen sagte in slawischer Sprache:

"... wenn erst unsere Soldaten hier sind, dann werde ich allen Bauernfamilien hier in Offheim den Hals durchschneiden."

Dieser Satz löste bei den anderen Gefangenen Unruhe aus und man beschloss, dass sich alle Offheimer Gefangenen heimlich in einer Nacht in einer Scheune in Offheim treffen sollten. Man wollte beraten, wie man sich gegenüber der deutschen Bevölkerung verhalten sollte, wenn erst die Befreier eingetroffen sind.

Gesagt - Getan.

Heimlich trafen sich eines Nachts - unbemerkt von der deutschen Bevölkerung- alle Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen von Offheim in einer Scheune und es wurde eine Art „Verhandlung" mit dem Mitgefangenen geführt, der diese für die Offheimer Bevölkerung so schicksalhafte Absicht geäußert hatte.

Jeder einzelne Gefangene und Zwangsarbeiter wurde befragt, ob er oder sie der Familie, bei derer oder sie untergebracht sind den Tod wünscht.

Es gab viel Leid während der Zeit der Gefangenschaft zu klagen, aber es gabauch, -so wie bei meiner Mutter -, von viel Menschlichkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft,

Kameradschaft    und Herzlichkeit der Offheimer Bevölkerung gegenüber den Gefangenen zuberichten.

- So fiel der gemeinsame Beschluss, ein sinnloses Blutvergießen zu verhindern.Der Gefangene, der die düstere Absicht gegenüber der Offheimer Bevölkerung geäußert hatte, wurde vor folgende Wahl gestellt:

Die Gefangenen und Zwangsarbeiter sagten zu ihm:

„Wir und die Familie bei der du als Gefangener arbeiten musst, wissen dass du Jude bist und keiner, weder wir, noch die Bauerfamilie, bei der du arbeitest, haben dich deswegen bei der GESTAPO denunziert.

Wir wissen auch, dass Du gesagt hast, dass du allen Offheimern den Hals durchschneiden willst,wenn erst unsere Soldaten hier sind.Noch sind unsere Soldaten nicht hier - und noch sind wir Gefangene.Noch die Macht der Nazis nicht gebrochen-

Du weißt was mit Dir passiert, wenn wir der Gestapo sagen, dass du Jude bist und dass du allen Bauern hier in Offheim nach dem Kriege töten willst.

Du weißt, dass dein Schicksal besiegelt ist, wenn die Gestapo erfährt, dass du diese Äußerung getan hast.

„Gib uns dein Ehrenwort, dass du niemanden nach dem Krieg hier töten wirst und wir geben dir unser Ehrenwort, das dich jetzt niemand denunzieren wird."

Er gab sein Wort - und alle haben ihr Wort gehalten?

Noch oft, vom Zeitpunkt der heimlichen Zusammenkunft der Zwangsarbeiter in der Scheune in Offheim, bis zu ihrer Befreiung beim Einmarsch der Amerikaner, erinnerten die Zwangsarbeiter ihren Mitgefangenen daran: „ ... denke daran, - du hast dein Wort gegeben."

So hat die Menschlichkeit in Offheim auf beiden Seiten, sowohl auf Seiten der Gefangenen und „Ostarbeiter" , als auch auf deutscher Seite gesiegt.

Nach dem Kriege konnte meine Mutter nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, denn Galizien war, aufgrund der alliierten Beschlüsse auf der Konferenz von Jalta, bzw. der Potsdamer Beschlüsse von den russischen Besatzungstruppen vom polnischen Mutterland abgetrennt und der damaligen UdSSR zugeschlagen worden.

Als Entschädigung für diesen Landverlust im Osten erhielt Polen die deutschen Gebiete östlich von Oder- und Neiße, aus denen dann die deutschen Bevölkerung vertrieben wurde.

So blieb meine Mutter zunächst in Offheim wohnen. Sie wohnte bei ihrer Bauernfamilie, von der sie in schweren Jahren menschlich, freundlich und menschenwürdig behandelt worden war, und arbeitete auch weiterhin in der Landwirtschaft mit.

Und es gab noch einen Grund, warum meine Mutter nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren konnte:

Es gab einen ungeschriebenen aber tödlichen Befehl Stalins, der besagte, dass man nicht lebend und noch nicht einmal als Gefangener zu den Deutschen gelangen durfte, - höchstens als Toter.

Es war der Befehl der „letzten Kugel", der besagte, dass man bis auf die letzte Kugel gegen die Deutschen zu kämpfen hatte - mit der allerletzten noch verbleibenden Kugel hatte man sich selbst zu erschießen ! (Diesem unsinnigen Befehl hatte Stalin sogar seinen eigenen Sohn geopfert! )

Gegen diesen Befehl hatte meine Mutter, im jugendlichen Alter von 21 Jahren aus sowjetischer Sicht aufs gröbste verstoßen !

Meine Mutter wusste von diesem Befehl Stalins und sie fuhr in die Hauptbahnhöfe der großen deutschen Städte , z.B. nach Köln, und warnte ihre Landsleute, die mit den Zügen der Alliierten in ihre Heimat zurückkehren wollten, vor diesem Befehl Stalins.

Sie schrieb diese Warnung auf große Transparente, die Sie, auf den Bahnsteigen auf- und abgehend ,vor sich trug.

Schon als kleines Kind erzählte Sie mir sehr oft, dass sie viele ihrer Landsleute in Züge, die nach Osten abfuhren, hat einsteigen sehen und dass diese Züge niemals in der Heimat angekommen sind. - Die Menschen, die in diesen Zügen fuhren und hofften, zu ihren Familien zurückkehren zu können, sind irgendwo im Osten spurlos und namenlos für immer verschwunden.

An sie sei an dieser Stelle ehrend gedacht!

 

Vom Schicksal ihres Cousin , der in einem solchen Zug in Richtung Heimat abgefahren war, hat sie später erfahren, dass er bei dessen Ankunft in Lwiv, wie ihre Heimatstadt Lemberg jetzt hieß, von 6 Personen erfasst wurde und vor den nächsten fahrenden Zug geworfen wurde. - Tod !

Wer von den zurückkehrenden Zwangsarbeitern nicht sofort getötet wurde, verschwand für viele Jahre oder für immer, irgendwo in Sibirien wieder in einem Lager als Zwangsarbeiter - diesmal auf sowjetischer Seite!

So blieb Sie auch nach dem Kriege in Deutschland und ging nicht den Weg, den Millionen von Zwangsarbeitern aus den osteuropäischen Ländern gingen, indem sie nach Australien , Argentinien oder sonstige ferne Länder auswanderten, weil sie in ihre Heimat nicht mehr zurückkehren konnten.

Meine Mutter hatte das Vertrauen Ihres Bauern in Offheim und Sie hatte die große Ehre, zusammen mit dem Bürgermeister von Offheim, den Sohn des Bauern, der als Spätheimkehrer aus schwerer russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte, in Limburg abzuholen und in einer offenen Pferdekutsche unter Glockengeläut durch das eigens hierzu festlich geschmückte Offheim nach hause zu geleiten.

Lieber Leser, bitte unterbrechen sie kurz das Lesen dieses Berichtes und bedenken die Situation:

- Der ehemalige Gefangene der einen Seite wird von der ehemaligen Gefangenen der anderen Seite nach Hause geleitet -

Meine Mutter blieb in Deutschland, betrieb einen lukrativen Schwarzhandel mit den amerikanischen Besatzungssoldaten mit selbstgebrautem Schnaps, den sie in einem selbstgebauten Destillationsapparat brannte.

Jahre später gründete Sie in Ellar im Westerwald eine Familie, betrieb mit meinem Vater, der schwerstverwundet als deutscher Soldat aus dem Krieg heimgekehrt war (er hatte in Russland einen Arm und ein Auge bei einem Granattreffer verloren) eine kleine, und trotz der damaligen Verhältnisse und Umstände gutgehende Landwirtschaft, die sicherlich ohne den starken Willen und den Fleiß meiner Mutter diesen wirtschaftlichen Erfolg nicht erreicht hätte. Die schwere Feldarbeit wurde hierbei selbstverständlich noch mit zwei Kühen verrichtet.

In dieser Zeit, direkt nach dem Krieg, hörte man hier und da auch noch Stimmen, die das Land, das meine Mutter ,,Heimatland" nannte, heimlich und hinter vorgehaltener Hand noch immer als „Feindesland" bezeichneten. Diese Stimmen wurden im Laufe der Zeit immer weniger und schwächer und verstummten schließlich ganz.

In dieser Situation und in dieser Lage wurde die Menschenwürde oftmals noch mit Füßen getreten.

Aber es gab auf der anderen Seite auch sehr viele Menschen, - und dies war die Mehrzahl -, die sich gerade für die Achtung dieser Menschenwürde einsetzten

Über 20 Jahre war jeglicher Kontakt meiner Mutter zu ihren Angehörigen in ihrer Heimat abgebrochen.

Briefe, die sie in ihre Heimat schrieb, kamen, wenn überhaupt, als unzustellbar zurück.

Erst viele Jahre später erfuhr sie, dass  das sowjetische Rote  Kreuz  sie gegenüber  ihrer Verwandtschaft, die sie hatte suchen lassen, für Tod erklärt hatte.

Dies war eine einfache Lösung, mit der das damalige stalinistische Regime seine Vergangenheitsbewältigung betrieb. - Einer Vergangenheit, bei der es in der heroischen Legende des „großen vaterländischen Krieg" für Zwangsarbeiter, die für Deutschland arbeiteten mussten, keinen Platz gab.

Erst durch die Vermittlung von Konrad Adenauer, Nikita Chrustchow und der polnischen Regierung in Warschau, die meine Mutter in ihrer Not angeschrieben und um Hilfe gebeten hatte, wurde Anfang 1963, mitten im „kalten Krieg" der Kontakt zu ihrer Familie, gewissermaßen auf dem „ kleinen Dienstweg " wieder ermöglicht.

Meine  Mutter   hat   Konrad   Adenauer,   den   ersten  Bundeskanzler   der   Bundesrepublik Deutschland, in diesem Zusammenhang auch persönlich kennen- und schätzen gelernt.

Die Vermutung, dass der Kontakt zu ihrer Familie in der Ukraine durch höchste Regierungsstellen wieder ermöglicht wurde, wurde uns fast 30 Jahre später in einem Gespräch mit unseren Verwandten in der Ukraine bestätigt, die uns erzählten, dass ihnen im Jahre 1963 der erste Brief meiner Mutter aus dem Westen und somit ihr erstes Lebenszeichen nach dem großen Kriege nicht durch die Post, sondern von einem Polizeioffizier zugestellt wurde. Ihre erste Befürchtung , als das sowjetische Polizeifahrzeug damals auf Ihren Hof fuhr, um den Brief meiner Mutter zuzustellen, war gewesen :

"... jetzt werden wir wie so viele andere abgeholt - und für immer nach Sibirien deportiert!"

Bis Ende der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts unterstand meine Mutter nicht deutschem Recht, sondern als „Person ohne Heimat" dem besonderen Schutz der Vereinten Nationen.

Schließlich wurde sie deutsche Staatsbürgerin und lebt heute in einem Seniorenwohnheim in der Nähe von Marburg.

Ihre geliebte Heimat, die Sie als junge Frau in einer klirrendkalten Winternacht, als Gefangene unter Tränen und unter Androhung von Waffengewalt, in einem Viehwaggon, dessen Transport viele nur krank und ein kleines Kind überhaupt nicht überlebte, entgegen jedem Völkerrechtverlassen musste. - diese Heimat hat Sie bis zum heutigen Tage nicht mehr wiedergesehen.

 

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